Editorial: 3G stirbt vor 2G
3G ist out - 4G übernimmt die Frequenzen
Foto: teltarif.de
Vor 20 Jahren war der UMTS-Hype ausgebrochen. Mitten im
Internet-Boom wurde der digitale Mobilfunk, der bis dahin quasi
nur zwei Dienste kannte (Sprache und SMS) um die Möglichkeit der
schnellen mobilen Datenübertragung erweitert.
Fast 100 Milliarden Mark,
entsprechend 50 Milliarden Euro, gaben sechs Anbieter
damals alleine in Deutschland für die Lizenzen aus, um beim
Mobilfunk der dritten Generation
(3G/UMTS) dabei sein zu
dürfen.
Doch das Riesen-Geschäft, das sich alle erhofft hatten, blieb aus. Überhaupt nur vier der sechs Lizenznehmer schafften es, ein eigenes UMTS-Netz aufzubauen. Und nur bei zwei der sechs erreichte das Netz wenigstens andeutungsweise eine Flächendeckung in Deutschland. Die anderen beiden, denen stets das Geld für den Netzausbau fehlte, suchten ihr Heil später in der Fusion. Durch diese konnten zwar Kosten gespart werden. Doch den Rückstand beim Netzausbau konnten sie nie aufholen.
Technologisch gilt 3G/UMTS heute als Fehler. Der Versuch, ein Netz gleichzeitig auf Sprache und Daten zu optimieren, ging gehörig schief. Bei der Sprachqualität liegt 3G/UMTS bis heute hinter dem Vorgänger 2G/GSM zurück. Für Datendienste war UMTS hingegen von Anfang an zu langsam. Später kamen mit HSDPA, HSUPA und schließlich HSPA und HSPA+ zahlreiche Verbesserungen ins UMTS-Netz, die es zumindest etwas schneller machten. Doch erst das von Anfang an auf Datendienste optimierte 4G/LTE-Netz brachte den Durchbruch für das mobile Internet.
Niemand braucht vier Netze
3G ist out - 4G übernimmt die Frequenzen
Foto: teltarif.de
Aktuell steht bereits das nächste Update vor der Tür: 5G
erweitert den Einsatzbereich der mobilen Datendienste noch einmal
gewaltig: Höhere Bitraten, mehr Datenströme gleichzeitig,
kürzere Reaktionszeiten (Latenzen) und niedrigerer Stromverbrauch.
Aktuell gehört 5G bereits zur Standardausstattung neu vorgestellter
Top-Smartphones, in ein bis zwei Jahren wird der neue
Netzstandard auch in der Smartphone-Mittelklasse Einzug halten.
Und auch, wenn die 5G-Lizenzen alles andere als billig waren:
Die Netzbetreiber mussten für diese im Vergleich zu 3G/UMTS nur
einen Bruchteil der Beträge aufwenden, obwohl sie das Vielfache
an Bandbreite erhielten.
Jedenfalls stehen die Netzbetreiber mit dem 5G-Start vor dem Problem, dass sie nun vier Netze betreiben: 2G/GSM für Sprache und SMS, 3G/UMTS für nichts so richtig, 4G/LTE für Datendienste und 5G für noch schnellere Datendienste. Auf die Frage: "Was davon kann weg?" haben nun bereits zwei Netzbetreiber klar geantwortet: "Das Netz, das nichts so richtig kann". Die Deutsche Telekom behält sich schon seit Jahren in ihren AGB die Abschaltung bis Ende 2020 vor. Schon vor diesem Termin hat sie begonnen, die Bandbreite für 3G zu reduzieren und die so freiwerdenden Bänder auf 4G oder gar direkt auf 5G umzuwidmen. Noch hat sie aber keinen konkreten Abschalttermin genannt. Vodafone ist ebenfalls bereits kräftig beim Umwidmen von Frequenzen und nennt nun auch einen festen Termin: Nach dem 30.06.2021 ist Schluss mit 3G.
Schlusslicht o2
Telefónica/o2 hat hingegen noch keinen Termin für die 3G-Abschaltung genannt. Das dürfte gleich mehrere Gründe haben: Zum einen tut sich Telefónica/o2 mit dem Netzauf- und -umbau eh am schwersten. Dadurch haben sie aktuell noch gar nicht das Problem, vier Netze gleichzeitig betreiben zu müssen - der 5G-Probebetrieb einiger Basisstationen verdient es noch nicht, als 5G-Netz bezeichnet zu werden. Da auch die 3G-Abschaltung (bzw. wirtschftlich sinnvollerweise die Umwidmung von 3G-Frequenzen zu 4G oder 5G) o2 vor höhere logistische Herausforderungen stellen dürfte als die Konkurrenz, ist das ein weiteres Argument dafür, die Abschaltung erstmal nicht in Angriff zu nehmen.
Vor allem aber bietet o2 traditionell die günstigsten Tarife in Deutschland an. Damit dürfte die Zahl der Nutzer, die noch ein altes, nicht 4G-fähiges Smartphone ihr eigen nennen, bei o2 höher sein als bei der Konkurrenz. Wahrscheinlich hofft man bei o2 sogar, in den kommenden Monaten etliche Altkunden von Telekom und Vodafone aufsammeln zu können, die von der sukzessiven 3G-Ausdünnung und der folgenden 3G-Abschaltung betroffen sind. Manche Kunden wechseln vielleicht lieber das Netz als das Endgerät.
Dennoch: Unendlich lange wird 3G auch bei Telefónica/o2 nicht mehr weiterbetrieben werden. Denn je weniger Netzbetreiber weltweit überhaupt noch 3G-Netze betreiben, desto teurer wird die nötige Ausrüstung und das Know How dafür wieder. Und Frequenzen sind auch bei o2 knapp. 4G und erst recht 5G-Technologie können die Frequenzbesser aber effizienter nutzen als 3G. Von daher erwarte ich, dass o2 spätestens 2023 mit der Abschaltung von 3G beginnt.
Warum 2023? Nun, bis Ende 2021 muss der Netzbetreiber endlich seine Hausaufgaben beim 4G-Netzausbau erledigen. Bei der letzten Messung erreichten die Münchner gerade einmal 80 Prozent der Bevölkerung. 98 Prozent sind aber Pflicht. Die 98-Prozent-Hürde wird o2 auch dieses Jahr nicht schaffen, aber unter der Voraussetzung, den Rückstand zumindest zu halbieren, von der Bundesnetzagentur ein weiteres Jahr als allerletzte Gnadenfrist erhalten. Das bedeutet 90 Prozent LTE-Bevölkerungsabdeckung Ende 2020 und (fast) 98 Prozent Ende 2021. Dann müssen 2022 die letzten Lücken geschlossen werden und die ganzen nötigen Maßnahmen zur Kapazitätserweiterung im Bestandsnetz, die während des ländlichen Netzaufbaumarathons 2019/2020/2021 zu kurz gekommen waren, endlich durchgeführt werden. 2023 hat man dann bei o2 endlich wieder freie Netztechniker-Kapazitäten, um mit dem Aufbau des 5G-Netzes zu starten. Und der einfachste Weg wird dann der direkte Wechsel von 3G zu 5G sein: 3G raus, 5G rein. Das geht dann sukzessive, Standort für Standort, bis ca. 2026. Erst dann geht in der letzten Region Deutschlands die UMTS-Ära zu Ende.
Zwar wird o2 die 5G-Frequenzen bei 700 MHz und 3,6 GHz, die sie bereits ersteigert und bezahlt haben, auch schon vorher einsetzen, aber nicht zum Aufbau eines flächendeckenden 5G-Netzes, sondern nur zur Entlastung des bestehenden 4G-Netzes an Hotspots.
Und GSM?
2G/GSM wird hingegen vorerst bei allen Netzbetreibern weiterbetrieben werden. Zu groß wäre die Zahl der Handys, die nach einer kombinierten 2G- und 3G-Abschaltung nicht mehr telefonieren könnten. Denn der Sprachdienst für die Telefonie über 4G-Netze, Voice over LTE, kurz VoLTE, funktioniert erst seit einigen Jahren richtig rund. Insbesondere bei Billig-Smartphones gehört die VoLTE-Unterstützung erst seit kurzer Zeit überhaupt zur Serienausstattung. Ältere Billig-Smartphones würden dann zwar VoIP-Anrufe via WhatsApp und Co. unterstützen, aber nicht mehr direkt über die Handynetze. Diese Blöße werden die Betreiber sich sicher nicht geben.
Die oben für 3G beschriebene Ausdünnung der Frequenzbänder dürfte aber auch schon bald bei 2G/GSM beginnen. Dabei haben die Netzbetreiber aber mehr Möglichkeiten als bei 3G: Es müssen nicht ganze 5-MHz-Blöcke auf einmal umgeschaltet werden, sondern es können grundsätzlich die jeweils 0,2 MHz breiten GSM-Kanäle einzeln umgewidmet werden. Single-RAN-Basisstationen ermöglichen sogar die Umwidmung dynamisch in Abhängigkeit von der aktuellen Auslastung vorzunehmen. Freilich: Mit zunehmender Stärke der Fremdsignale benachbarter Basisstationen in den GSM-Frequenzbereichen wird sich die Sprachqualität mit der Zeit eher verschlechtern als verbessern. Und die Netzbetreiber werden die Nutzung von effizienten 4G- und 5G-Datenkanälen zu Lasten der ineffizienten 2G-Datenkanäle (GPRS und EDGE) priorisieren. Spätestens Mitte des Jahrzehnts beginnt daher auch die Diskussion über die Abschaltung von 2G.