Dashcam im Straßenverkehr Wann Video­aufnahmen vor Gericht zugelassen sind

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Dashcam im Straßenverkehr - Wann Video­aufnahmen vor Gericht zugelassen sind

Dashcam im Auto. Wer sie mitlaufen lässt, verstößt gegen den Daten­schutz – und trotzdem können die Aufnahmen als Beweis­mittel vor Gericht dienen. © mauritius images / Alamy Stock Photos / Jochen Tack

Wenns kracht, können Dashcams im Auto praktisch sein. Doch die Aufnahmen verstoßen gegen Daten­schutz und sind nur selten vor Gericht verwert­bar. So ist die Rechts­lage.

Einige Gerichte haben in der Vergangenheit Dashcam-Aufnahmen als Beweis­mittel zugelassen, andere nicht. Im Mai 2018 hatte der Bundes­gerichts­hof (BGH) einen Schluss­punkt gesetzt in einer Reihe von Gerichts­entscheidungen zum Dashcam-Einsatz und entschieden: Die Aufnahmen einer Dashcam können im Einzel­fall in einem Zivil­prozess vom Gericht verwertet werden (Az. VI ZR 233/17).

So funk­tionieren Dashcams

Dashcams sind kleine Video­kameras, die Auto­fahrer oder Auto­fahre­rinnen an Armaturenbrett, Rück­spiegel oder Wind­schutz­scheibe anbringen können. Auch Fahr­radfahrer können solche Kameras nutzen. Diese kleinen Kameras zeichnen durch­gehend auf, was im Umfeld des Fahr­zeugs geschieht. Oft nutzen Verkehrs­teilnehmer Dashcams, um sich für den Falle eines Unfalls abzu­sichern. Lange war umstritten, ob die Aufnahmen vor Gericht zur Wahr­heits­findung – also der Klärung des Unfall­hergangs – beitragen dürfen.

Der Bundes­gerichts­hof hat entschieden

Die Richter und Richte­rinnen des Bundes­gerichts­hof haben klar­gestellt: Es sind stets zwei Rechts­güter gegen­einander abzu­wägen – das Persönlich­keits­recht des gefilmten Verkehrs­teilnehmers und das Interesse des Filmenden, nach einem Unfall in einem Prozess zu seinem Recht zu kommen. Das Gericht sieht Video­aufzeichnungen als unzu­lässig an, doch daraus folgt nicht auto­matisch auch ein Beweis­verwertungs­verbot.

Im vor dem BGH verhandelten Fall war es um zwei Pkw gegangen, die auf zwei Links­abbiegerspuren fuhren und beim Abbiegen seitlich kollidierten. Vor Gericht stritten die Fahrer, wer von beiden von seiner Fahr­spur abge­wichen und dem anderen ins Auto gefahren war. Einer der beiden hatte die Kollision mit einer Dashcam aufgezeichnet. Die Vorinstanzen, das Amts­gericht Magdeburg (Az. 104 C 630/15) sowie das Land­gericht Magdeburg (Az. 1 S 15/17), wollten die Aufzeichnungen nicht als Beweis­mittel zulassen. Sie verstießen gegen den Daten­schutz, erklärten beide Gerichte. Daher unterlägen sie einem Beweis­verwertungs­verbot.

Abwägung zweier Rechts­güter

Das ließ der BGH so nicht stehen. Zwar sahen auch die obersten Richter und Richte­rinnen die Video­aufzeichnung als unzu­lässig an. Doch daraus folge wegen der Abwägung der beiden Rechts­güter nicht auto­matisch ein Beweis­verwertungs­verbot. Der BGH gewichtete in diesem Fall das Persönlich­keits­recht weniger stark, weil sich das Geschehen im öffent­lichen Straßenraum abspielte. Dort sei jeder Verkehrs­teilnehmer ohnehin den Blicken und der Wahr­nehmung anderer Menschen ausgesetzt. Die Dashcam habe nur das aufgezeichnet, was ohnehin für jeden wahr­nehm­bar sei. Demgegen­über räume das Gesetz den Beweis­interessen des Unfall­geschädigten ein besonderes Gewicht ein. Das Land­gericht musste den Unfall darauf­hin erneut unter­suchen und die Schuld­frage klären. Dabei durfte es die Video­aufzeichnungen nutzen.

Dashcam kann dem Benutzer auch Ärger einbringen

Ausdrück­lich wies der BGH in seinem Urteil darauf hin, dass ein Verstoß gegen das Daten­schutz­recht mit hohen Geldbußen geahndet werden kann. Das heißt: So hilf­reich die kleinen Kameras im Streitfall sein können – aus daten­schutz­recht­licher Sicht sind sie problematisch. Die Daten­schutz­behörde kann Nutzer einer Dashcam auffordern, das Filmen zu unterlassen und die Daten zu löschen, wenn sie das Verhalten anderer Verkehrs­teilnehmer fest­halten und öffent­lich machen. Dies zeigt der Fall eines Rechts­anwalts aus Mittel­franken. Als Auto­fahrer zeigte er immer wieder Verkehrs­verstöße an. Er schickte die Aufnahmen seiner Dashcam als Beweis an die Polizei. Diese informierte aufgrund der vielen Anzeigen den Präsidenten des Bayrischen Landes­amts für Daten­schutz­aufsicht. Da der Rechts­anwalt aber auf Anfrage keine Einsicht zeigte, forderte das Landes­amt ihn per Bescheid auf, die Kamera zu entfernen und alle Aufnahmen zu löschen. Er klagte gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungs­gericht in Ansbach (Az. AN 4 K 13.01634). Das Gericht musste den Bescheid zwar wegen eines Form­fehlers aufheben, stellte aber klar: Der Kläger machte mit seiner Kamera groß­flächige Beob­achtungen von öffent­lichen Straßen. Dies stelle einen Eingriff in die Persönlich­keits­rechte der Betroffenen dar. Besonders schwerwiegend sei dieser Eingriff, weil durch die permanente Aufzeichnung viele Personen in kurzer Zeit betroffen waren.

Bußgeld­bescheid fürs Dauer­filmen aus dem Auto

Gleiches Ergebnis, etwas anderer Fall: Eine Auto­halterin hatte an ihrem Wagen vorne und hinten Video­kameras installiert. Sie filmten laufend den öffent­lichen Verkehrs­raum. Als ein Auto ihren Wagen beschädigt hatte, über­gab sie die Aufzeichnungen der Polizei zum Beweis. Gegen die Frau wurde darauf­hin ein Bußgeld­verfahren wegen Verstoßes gegen das Bundes­daten­schutz­gesetz einge­leitet. Das Amts­gericht München verurteilte sie zu einer Geldbuße von 150 Euro (Az. 1112 OWi 300 Js 121012/17).

Verkehrs­sünder durch Video über­führt

Das Ober­landes­gericht Stutt­gart musste darüber entscheiden, wie mit dem Filmmaterial umge­gangen werden muss, wenn ein Verkehrs­teilnehmer mit seiner Dashcam gefilmt hatte, wie ein Auto­fahrer über eine rote Ampel gefahren war. Allein mit Hilfe des Filmmaterials konnte der Auto­fahrer über­führt werden und wurde vom Amts­gericht Reutlingen zu einer Geldbuße von 200 Euro und einem einmonatigen Fahr­verbot verdonnert (Az. 7 OWi 28 Js 7406/15). Das Ober­landes­gericht Stutt­gart bestätigte diese Entscheidung und ließ die Dashcam-Aufnahme als Beweis­mittel zu (Az. 4 Ss 543/15). Damit unterstützte das Gericht auch andere voran­gegangene Entscheidungen, in denen Dashcam-Aufnahmen als Beweis­mittel zugelassen wurden (zum Beispiel: Amts­gericht Nürn­berg, Az. 18 C 8938/14, Land­gericht Lands­hut, Az. 12 S 2603/15, Amts­gericht München, Az. 343 C 4445/13).

Als Beweis­mittel im Straf­prozess zulässig

Die Begründung des OLG Stuttgart zeigt gut, warum die Rechts­situation uneindeutig ist. Ob ein Dashcam-Video als Beweis verwendet werden darf, muss im Einzel­fall geklärt werden. Folgende Interessen spielen dabei eine Rolle:

Das allgemeine Persönlich­keits­recht. Danach können die von der Video­aufnahme betroffenen Personen grund­sätzlich selbst entscheiden, welche persönlichen Daten verwendet werden dürfen.

Sicherheit im Verkehr. Zum anderen muss die Justiz schwere Verkehrs­stöße ahnden können, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewähr­leisten. Da das Video im konkreten Fall nur die Verkehrs­vorgänge dokumentierte und die Identifizierung des Betroffenen über das Kenn­zeichen erlaubte, ist der Eingriff in das Persönlich­keits­recht laut Gericht relativ gering. Zudem handelte es sich im vorliegenden Fall um eine schwerwiegende Verkehrs­ordnungs­widrigkeit, weshalb das Ober­landes­gericht in seiner Abwägung zu dem Schluss kam, die Dashcam-Aufnahme als Beweis­mittel zuzu­lassen.

Auch im Zivil­prozess kann ein Video zulässig sein

Das Land­gericht Nürn­berg-Fürth ließ eine Aufnahme per Minikamera auch in einem Zivil­prozess als Beweis­mittel zu (Az. 2 O 4549/15). Dieser Linie folgte das Land­gericht Traun­stein. Hier ging es um ein links­abbiegendes Auto, das mit einem gerade­aus fahrenden Linienbus kollidiert war. Die Beteiligten stritten darüber, ob der Bus rechts geblinkt und so verursacht hatte, dass das Fahr­zeug vorschnell über die Kreuzung fuhr. Mit einer Dashcam konnte sich der Busfahrer schließ­lich entlasten. Für die Richter waren die Aufnahmen im Prozess verwert­bar, da die Dashcam in einem daten­spar­samen Betrieb gelaufen war. Letzt­lich speicherte sie dauer­haft nur Aufnahmen aus dem Zeitraum 15 Sekunden vor und 15 Sekunden nach einem Ereignis wie einer Kollision. Gab es kein besonderes Ereignis, wurden die aufgenommen Daten alle 30 Sekunden gelöscht. Vor diesem Hintergrund über­wiege das Beweissicherungs­interesse die Persönlich­keits­rechte von Gefilmten, meinte das Gericht (Az. 3 O 1200/15).

Es bleibt eine Einzel­fall-Entscheidung

Bei Dashcams müssen Gerichte weiterhin einzelne Interessen abwägen. Diese unklare Rechts­lage in Deutsch­land und in den europäischen Nach­barländern beklagte auch der „Arbeits­kreis VI Dashcam“ auf dem 54. Deutschen Verkehrs­gerichts­tag im Januar 2016. Ein grund­sätzliches Verbot von Dashcams oder eine grund­sätzliche Erlaubnis für deren Verwendung sei zwar nicht sinn­voll. Dennoch sollte eine gesetzliche Regelung möglich sein, die „ein einheitliches Schutz­niveau inner­halb der EU gewähr­leistet“. Es müsse dabei stets ein Ausgleich zwischen Beweis­interesse und Persönlich­keits­recht statt­finden. Bei Verkehrs­verstößen ohne eine schwerwiegende Gefähr­dung, so die Empfehlung des Arbeits­kreises, sollten die Videos aber nicht heran­gezogen werden.

Tipp: Auch wenn Sie an Ihrem Haus eine Videokamera installieren, gelten strenge Regeln. Auf jeden Fall dürfen Sie damit nur Ihr eigenes Grund­stück über­wachen, also weder Nach­barn beob­achten, noch die Kamera auf gemein­same Zugangs­wege oder gemein­sam genutzte Einfahrten lenken. Ansonsten greifen Sie unzu­lässig in das allgemeine Persönlich­keits­recht Ihrer Nach­barn ein.

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Kommentarliste

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  • Alebri6459 am 17.11.2023 um 17:28 Uhr
    Gibt es mal einen Dashcam-Test

    Guten Tag,
    es wäre schön wenn die Stiftung mehrere Dashcams testen würde, damit man eine unabhängige Prüfung und Aussage bekäme.
    Vielen Dank.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 03.05.2021 um 17:12 Uhr
    Dashcam und Datenschutz

    @Testmensch100: Wie im Artikel schon gesagt: Jedes Dauerfilmen verstößt grundsätzlich gegen das Daten­schutz­recht. Es sind immer Einzelfallentscheidungen, ob eine Aufnahme als Beweismittel zugelassen wird oder nicht. (PH)

  • Testmensch100 am 03.05.2021 um 14:42 Uhr
    Mit Antwort unzufrieden

    Vielen Dank für Ihre Antwort!
    Verstoßen Dashcams also nicht automatisch gegen den Datenschutz, da die Daten ja nicht überschrieben werden und die Aufnahme dauerhaft erfolgt; anders als bei einer Dashcam?!
    Auch sind Action-Kameras oft deutlich als Dashcams, weshalb es für mich nicht in Frage kommt, mir eine Dashcam ins Auto zu hängen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 03.05.2021 um 12:02 Uhr
    Test in naher Zukunft?

    @Testmensch100: Vielen Dank für Ihre Themenanregung. Wann wir eine Untersuchung zu speziellen Themen veröffentlichen, können und dürfen wir wir nicht vorab sagen. Vielleicht ist unsere Untersuchung von Action-Cams aber interessant für Sie? Im Prinzip lassen sich viele der Action-Cams unserer Tests tatsächlich auch als Dash-Cams verwenden. (PH)
    www.test.de/Action-Cams-im-Test-1811933-0/

  • Testmensch100 am 02.05.2021 um 14:32 Uhr
    Ist in naher Zukunft mit einem Test auszugeben?

    Moin, auch ich würde mir in naher Zukunft gerne eine Dashcam zulegen, finde die Angebote aber sehr undurchsichtig und bin sehr unentschlossen: ein vernünftiger Test wäre Prima!
    Ist in nächster Zeit mit einem Test zu rechen und lohnt es sich warten?!
    Ich denke der Unterschied zwischen einer Dashcam und einer Action-Kamera ist enorm. Action-Kameras verfolgen doch einen ganz andern Sinn und sind oftmals teuer. Außerdem zeichnen Action-Kameras doch durchgehend auf, das wäre dann doch (wie im Artikel doch erwähnt) ein deutlicher Verstoß gegen den Datenschutz. (?)
    Freue mich über eine Antwort, Danke!