Testfazit

Testnote

2,7

befriedigend

Schon lange werden Smartphones als Computer für die Hosentasche angepriesen, aber nie zuvor hat ein Hersteller diesen Gedanken so konsequent zu Ende gedacht wie Microsoft mit dem 950 XL. Bei einfacheren Aufgaben oder für Video-Vorführungen kann es sogar den PC ersetzen. Aber auch als Handy schießt es dank starkem Display und einer der besten Smartphone-Kameras überhaupt zurück an die Spitze. Nachteil: Die Akkulaufzeit ist mau.

Pro
  • Gerät mit Zubehör als Windows-10-PC nutzbar
  • Scharfes Display
  • Hohes Tempo
  • Speicher erweiterbar
  • Akku wechselbar
  • Drahtloses Laden integriert
  • Entsperren per Iris-Scan
Kontra
  • Schlechte Akkulaufzeit
  • Dürftiger UMTS-Empfang
Fast zwei Jahre hatte sich Microsoft dem Wettbewerb um neue Spitzen-Smartphones verweigert. Damit ist nun Schluss: Mit dem im Herbst präsentierten Lumia 950 XL – und dem kleinen Bruder Lumia 950 – ist Microsoft zurück im Ring. Neben starker Hardware spielt dabei das Betriebssystem eine wichtige Rolle: Die beiden Lumias sind die ersten Smartphones mit installiertem Windows 10 mobile, das günstige Lumia 550 soll kurz darauf folgen. COMPUTER BILD wollte wissen: Was leistet das neue Smartphone-Flaggschiff Lumia 950 XL? Und inwiefern profitiert es von Windows 10?

» Exklusiv: Microsoft Lumia 950 XL im Leser-Test

Erstes Update: Endlich ohne Provider-Fessel?


Kurz nach den Auslieferungen der ersten Geräte hat Microsoft ein erstes offizielles Mini-Update ausgeliefert: Windows 10 mobile 10586.29 behebt einige Detail-Probleme, etwa mit Bluetooth. Besonderheit: Offenbar hat Microsoft unter Windows 10 mobile endlich einen Weg gefunden, Updates zeitnah ohne Ausbremsen durch den Provider bereitzustellen. Da das Update auf Version 10586.29 sich auf einigen Geräten nicht erfolgreich aufspielen ließ, hat Microsoft es vorerst zurückgezogen. Auf den Testgeräten in der Redaktion lief das Update allerdings problemlos.

Die Technik? Spitze!


Bei der verbauten Technik kann es das 950 XL mit den besten Android-Smartphones aufnehmen: Das 5,7-Zoll-Display ist knackscharf, hat genauso viele Pixel wie das Galaxy S6 – und ist schärfer als jedes iPhone 6S Plus oder iPhone 6S. Und wie die neuste Galaxy-Generation besitzt der Bildschirm enorme Kontraste und Helligkeitsreserven, sodass es sich auch in der Sonne noch ablesen lässt. Das Arbeitstempo ist bei beiden Geräten sehr ordentlich. Nominell ist die Prozessorleistung im Lumia 950 XL zwar deutlich stärker (Snapdragon 810 mit acht Kernen) als im kleineren Lumia 950 (Snapdragon 808 mit sechs Kernen), im Alltag ist aber kein echter Unterschied spürbar.

Lumia 950 oder 950 XL?


Wer sich zwischen beiden 950er-Modellen entscheiden muss, sollte das vor allem anhand der Größe festmachen. Das Lumia 950 XL hat einen 5,7-Zoll-Bildschirm, das kleinere Lumia ist mit 5,2 Zoll einen Hauch größer als das Display im Galaxy S6. Um die gesamte Bildschirmfläche zu nutzen, muss man allerdings die Symbolleiste per Wisch von unten über das Display ausblenden – und bei Bedarf mit derselben Geste wieder einblenden. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, hat aber neben der vergrößerten nutzbaren Display-Fläche einen weiteren Vorteil: Es verhindert das versehentliche Auslösen der Cortana-Taste in der Hosentasche.

Die Kamera: Auch gut bei wenig Licht


Die 20-Megapixel-Kamera punktet im Test: Beide Lumias machen nicht nur bei Tageslicht richtig gute Fotos und erreichen als erste Smartphones auch bei wenig Licht die Sichttestnote „gut“. Damit liegen die neuen Lumia-Smartphones bei Tageslicht-Fotos nur knapp hinter den Testnoten des Moto X Style und Moto X Play. Bei wenig Licht sind sie derzeit die besten Smartphones. Das gilt für Aufnahmen ohne und mit Blitz – für natürliche Beleuchtung beim Blitzen sorgen drei verschiedenfarbige Leuchtdioden. Bei wenig Licht hilft auch die Kombination aus optischem und digitalem Bildstabilisator.

Endlich hat Microsoft die bei früheren Modellen wie dem Lumia 930 träge Auslöseverzögerung in den Griff bekommen: Das Lumia 950 XL löst fast so schnell aus wie das iPhone 6S und einen Tick schneller als das iPhone 6S Plus. Die Videoqualität (inklusive 4K) ist ähnlich gut wie bei den neuen iPhones. Die Zeitlupenfunktion ist längst nicht so überzeugend wie bei Apple: 60 Bilder pro Sekunde statt 240 beim iPhone 6S.

Warum ein Windows-10-Handy?


Gute Technik gibt es auch unter Android. Aber welche Vorteile hat Windows 10? Gegenüber dem älteren Windows-Phone-System bietet die neue Version schon mal eine Reihe praktischer Neuerungen. Doch erst die beiden neuen Top-Modelle reizen das Potenzial von Windows 10 auf dem Handy aus. Dass in den kleinen Schätzchen ein PC schlummert, ahnt man schon, wenn man Geräte per USB-OTG-Adapter an die USB-C-Buchse ansteckt – hier der im Test verwendete OTG-Adapter bei Amazon. Nach kurzem Tonsignal funktionierten Tastatur, Maus, USB-Stick oder sogar ein USB-Kopfhörer wie am PC. Auch das Drucken via WLAN funktioniert, etwa aus Word.
Microsoft Lumia 950 XL
Über das kleine viereckige Display-Dock lassen sich außer einem Monitor zahlreiche andere externe Geräte wie Tastaturen und Mäuse anschließen.
Foto: COMPUTER BILD

Continuum: Das Lumia als PC


Wirklich wachgeküsst aber wird die PC-Power im Lumia, wenn man es über die Docking-Station „Microsoft Display Dock“ (109 Euro, für Käufer des Lumia 950 XL bis Ende Januar 2016 gratis) mit PC-Monitor, Tastatur und Maus verbindet. Dann ist „Continuum“ aktiv: Auf dem PC-Monitor zeigt das Handy die vom PC gewohnte Windows-10-Oberfläche. Apps wie Outlook, Word, Excel wechseln automatisch ins volle Breitbild-Layout. Für sporadisches Arbeiten oder das Vorführen von Videos auf dem Monitor reicht die Leistung der Lumias. Das Handy lässt sich wahlweise als Touchpad nutzen oder parallel unabhängig von der PC-Oberfläche weiter für Telefonate, SMS und mehr.

Einziger Haken: Die Office-Apps auf dem Handy sind in den Funktionen leicht eingeschränkt, Excel etwa kann keine Tabellen mit der älteren Visual-Basic-Technik öffnen. Und normale Windows-PC-Programme wie Firefox oder Office 2016 laufen nicht. Gut für Gelegenheitsnutzer: Auch ohne Display-Dock kann man Continuum nutzen. Wer einen aktuellen TV mit Miracast-Funk oder einen Fire-TV-Adapter am TV hat, kann die Verbindung auch drahtlos herstellen, Maus und Tastatur via Bluetooth mit dem Handy verbinden. Bei Videos ruckelt die Übertragung dann manchmal.

Erstes Handy mit Iris-Scan


Außer Continuum haben die neuen Lumia-950-Modelle eine weitere Funktion, die es so bislang nicht gab: einen Iris-Scanner, der in Form einer zweiten Kamera auf der Frontseite angebracht ist. Nach kurzem Anlernen reicht statt eines Passworts ein Blick in die Kamera, um den Handy-Bildschirm zu entsperren. Im Test funktionierte das nach einiger Gewöhnung recht gut, sogar mit Brille, und dank Infrarot-Technik auch im Dunkeln. Etwas nervig aber: Das Entsperren klappte nur, wenn die Testperson die Augen direkt vor der Frontkamera weit aufriss. Zudem erscheint häufig „Näher heranrücken!“, sofern man weiter als etwa 30 Zentimeter vom Handy entfernt ist.

Wer die Sperre knacken will, muss deutlichen Aufwand betreiben und neben der Iris des Benutzers die Gesichtsform kopieren. Wie schon der Fingerabdrucksensor etwa im iPhone 6 kann auch das neue Microsoft-System grundsätzlich nicht zwischen künstlichen biometrischen Täuschungsversuchen und echten lebendigen Menschen unterscheiden. So ließ sich der Iris-Scan im Laborversuch mit 3D-Wachsfiguren historischer Personen anlernen und durchführen. So ist nicht auszuschließen, dass es einem Betrüger gelingen kann, das Irismuster der echten Queen Elizabeth auf ihre Wachsfigur-Kopie aufzubringen und das königliche Handy damit zu entsperren. In der Praxis ist der Aufwand allerdings sehr hoch, sodass der Iris-Scan auf jeden Fall mehr Sicherheit als frei einsehbare und erratbare Zifferncodes bietet.

Schwächen bei Akku und Empfang


Der Labor-Test offenbarte allerdings auch Schwächen: So ist die Akkulaufzeit des Lumia 950 XL, vor allem angesichts der großen Kapazität von 3.270 Milliamperestunden, alles andere als berauschend. Mit neun Stunden und 13 Minuten liegt sie sogar noch etwas unter der des iPhone 6. Auffällig war hier vor allem der hohe Standby-Verbrauch, verbunden mit einer auch von anderen Snapdragon-810-Smartphones bekannten Hitzeentwicklung. Möglicherweise kann Microsoft per Software-Update noch einige Minuten mehr herausholen. Die Hitzeentwicklung des Snapdragon-810-Prozessors ist allerdings auch von anderen Smartphones bekannt. Problem: Ist die Überhitzung zu stark, drosselt der Prozessor die Leistung. Da das insbesondere im Continuum-Betrieb von Nachteil wäre, wo viel Leistung gefordert ist und das eingesteckte Netzteil das Handy zusätzlich aufheizt, besitzt das Lumia 950 XL als erstes Smartphone überhaupt ein Flüssigkühlungs-System, das die Hitze vom Prozessor auf andere Bereiche des Gehäuses ableitet.

Enttäuschend ist auch der UMTS-Empfang – der ist beim kleinen Bruder Lumia 950 klar besser. Bei LTE dagegen gehört das Lumia 950 XL zu den besseren Smartphones, das Lumia 950 liegt aber auch hier knapp vorn. Immerhin: Das Lumia 950 XL ist via mitgeliefertem USB-C-Ladegerät schnellladefähig. In weniger als 30 Minuten soll das Lumia zu 50 Prozent aufgeladen sein. Damit nicht genug: Auch drahtlos nimmt das Lumia dank Qi-Standard frischen Saft auf. Allerdings liegen die Ladespulen beim 950 XL höher als beim Lumia 950, sodass manche ältere drahtlose Ladeschalen wie das Nokia DT-910 oder die KFZ-Halterung Nokia CR-200 nicht passen.
Microsoft Lumia 950 XL
Der finnische Hersteller Mozo bietet eine Alternative aus Leder für die austauschbare Kunststoffrückseite des Lumia 950 XL – in Schwarz, Weiß und Braun.
Foto: COMPUTER BILD

Beim Design nur Hausmannskost


So überzeugend die Technik, so unspektakulär ist das Design: Die neuen Geräte sind gut verarbeitet, liegen dank matter Rückseite fest in der Hand. Die kantigen Kunststoffgehäuse in Schwarz und Weiß aber versprühen eher Billig-Charme. Der Verzicht auf Glas und Metall hat zumindest einen Vorteil: Man kann das Gehäuse abnehmen, den Akku tauschen, eine Speicherkarte (bis 200 Gigabyte) einsetzen. Und wem das Design nicht passt, der tauscht die Gehäuse-Rückseite – zum Start bietet der finnische Hersteller Mozo Gehäuse mit Leder an.

Die ersten Smartphones mit Windows 10

Microsoft Lumia 950 und 950 XL im ersten Eindruck

Foto: Computerbild

Microsoft Lumia 950 XL: Preis und Verfügbarkeit


Das Lumia 950 XL ist ab sofort verfügbar und mit 699 Euro UVP hierzulande 100 Euro teurer als das kleinere Lumia 950. Wer bis 31. Januar 2016 vorbestellt oder kauft, erhält über die installierte Lumia-Offers-App auf dem gekauften Gerät einen Gutschein für ein kostenloses Display-Dock.

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Fazit: Microsoft Lumia 950 XL


Schon lange werden Smartphones als Computer für die Hosentasche angepriesen, aber nie zuvor hat ein Hersteller diesen Gedanken so konsequent zu Ende gedacht wie Microsoft mit seinen beiden Topmodellen Lumia 950 und 950 XL. Vor allem das 950 XL kann bei einfacheren Aufgaben oder für Video-Vorführungen sogar den PC ersetzen. Aber auch als Smartphone schießt es dank starkem Display und einer der besten Smartphone-Kameras überhaupt zurück an die Spitze. Doch es gibt auch Schattenseiten: Die Akkulaufzeit ist mau, etwa auf iPhone-6-Niveau. Der UMTS-Empfang schwächelt (im Gegensatz zu LTE). Und noch ist offen, ob die Idee von Microsoft aufgeht, das App-Angebot mit Windows 10 auch auf dem Handy zu verbessern.